Freitag, 20. Mai 2011

Der Berg ruft

Drei Fragen kommen mir nach den ersten 30 Minuten in den Sinn: Warum? Warum? Warum?

Warum tue ich mir das an? Warum quäle ich mich so, wie noch nie in meinem Leben zuvor? Warum bist du so dämlich gewesen und bist mitgelaufen. Auf die Höhe, wo sonst Flugzeuge sich für den Landeanflug fertig machen. Dort, wo keine Vögel mehr fliegen, weil es viel zu hoch ist. Nicht einmal Wolken gibt es hier oben. Mit "oben" ist der Berg Huyana Potosi gemeint. 6.088 Meter hoch. Laut Ausschreibung der "leichteste" zu begehende. Was für ein schlechter Scherz!

Hier die ganze Geschichte des Leiden Christi, erzählt aus der Ich-Perspektive des Larsinho:


Der Rucksack ist gepackt. Hier ist alles drin, was der Bergsteiger braucht. Na, dann kann's ja endlich losgehen!


Unser Ziel liegt vor uns: Der Berg Huyana Potosi. Auf 6.088 Meter Höhe. Los geht es mit unseren boliviansichen Guides Super-Mario und Franz. Super! Gleich der erste Abschnitt ist anstrengend! Mir kommen die ersten Zweifel, ob das wirklich eine gute Idee war, diesen Trip zu buchen.


Und dennoch: Irgendwann, nachdem ich die ersten Liter Schweiß vergossen habe, kommen wir im Rockcamp auf einer Höhe von fünftausendeinhundertundeinbißchen an.



Der erste Ausblick belohnt für die ersten Strapazen:

Schnell noch ein Gruppenfoto machen...


...und dann ab zum Sonnenbaden:

Im Refugio sind die Wände mit Sprüchen und Zeichnungen gesät. Hier ein ganz besonderer Gruß an die Bergsteiger:



Hier, in unserem Refugio mit dem Namen Rockcamp (!) auf einer Höhe von 5.103 Meter, versuchen wir für ein paar Stunden zu schlafen, bevor wir gegen Mitternacht aufstehen. Schlafenszeit war für 18 Uhr angesetzt. Unmöglich für alle, ein paar Stunden zu schlafen. Der Schlafraum ist ausgestattet mit Dingen, die wohl früher mal so etwas wie Matratzen waren. Quälende sechs Stunden liege ich wach, höre Musik, versuche einzuschlafen, höre, wie sich auch die anderen Möchtegern-Bergsteiger von der einen auf die andere Seite drehen. Dann endlich, gegen Mitternacht, dürfen wir wieder aufstehen, unsere Ausrüstung anziehen und das dämlichste machen, was wir je gemacht haben: bergsteigen.

Von all den Alternativen, die die Agenturen in La Paz zuhauf anbieten, habe ich zusammen mit Colm das Abenteuer ausgesucht, was im Nachhinein am anstrengensten war. Zur weiteren Auswahl standen noch ein Drei-Tages-Dschungel-Aufenthalt oder der Besuch des Makidi-Nationalparks.

Dann geht es los. Wie uns unsere Guides empfehlen, ist es ganz wichtig, langsam den Berg zu erklimmen und lansam ein- und auszuatmen. Langsam gehen? Super! dachte ich mir, dann kann ja nix mehr schief gehen. Mehrere Gruppen machen sich nacheinander, den Berg anzugehen. Es sieht aus wie eine Kolonne von Glühwürmchen, die Lichtkegel auf den Schnee zaubern. Ich würde mich jetzt auch ganz gerne auf den Gipfel zaubern, scheitere aber schon bei dem Versuch, mir warme Füße zu wünschen.

Der Mond ist unser ständiger Begleiter auf dem Weg nach oben und beleuchtet den Berg. Dennoch lassen sich keine Bilder machen, dafür ist es zu dunkel. Ich ärgere mich nicht darüber, dass es so dunkel ist, schließlich ist es Nacht und das habe ich in Deutschland auch schon mal erlebt.

Völlig neu sind mir jedoch die körperlichen Strapazen, die ich auf dem Weg nach oben kennenlernen darf. Es ist nicht so einfach wie im Badminton-Training, wo ich meine Badminton-Kollegen Marc und Christos locker im Einzel weghaue, um dann mit meinem Doppelpartner Jürgen im Doppel Selbiges zu machen mit beiden. Nein, das hier ist wirklich anstrengend.

Franz, mein Guide, an dessen Sicherungsseil ich hänge und dem der Spaß noch nicht vergangen ist und regelmäßig "Vamos a la playa", wir gehen zum Strand, sagt und singt und mehrfach wiederholt, dass "chicas" " en la playa muy bien" und "muy importante" sind, kriegt sich vor Lachen manchmal nicht ein. Während der ersten Stunde konnte ich auch noch mitlachen, da waren Kondition und Kraft noch vorhanden.

Aber irgendwann kann ich darüber nicht mehr lachen, da ich keine Luft mehr zum Lachen habe. Ich starre Schritt für Schritt auf den Rucksack von Franz, der ca. eineinhalb Meter vor mir her geht. Es muß der gleiche designierende Blick sein, den ich seit der fünften Klasse hatte, wenn wir Mathearbeite schreiben mußten (sofern ich nicht "urplötzlich" einen schlimmen Asthmaanfall vortäuschen mußte, um die Arbeit zu verpassen), und ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich hier mache.

Wir gehen weiter im Gänsemarsch steil bergauf. Ich habe es in der Zwischenzeit sein gelassen, nach oben zu schauen. Halb erschöpft, halb lebend quäle ich mich weiter den Berg hinauf. "Nur noch zwei Stunden, dann sind wir da", ruft mir Franz aufmunternd zu. NOCH ZWEI STUNDEN??? Hat er das nicht schon vor zwei Stunden gesagt? Ich hoffe, dass er maximal die europäische Zeiteinheit von zwei Stunden meint. Denn ich habe überhaupt keine Lust, zwei Stunden südamerikanischer Zeitrechnung zu laufen. Denn das kann im schlimmsten Fall bis zu einem Jahr dauern...also beiße ich auf die Zähne, laufe weiter, mache Pause usw.

Zwischendurch ist kurz Zeit, ein Foto mit Franz zu machen (mein Lachen ist gestellt!):


Bei 5.800 Meter ein kurzes Zwischenfazit:



Die letzten 200 Meter haben es in sich. Es geht steil bergauf, die Kräfte schwinden, die Abstände zwischen den Pausen werden kürzer. Bei 6.000 Meter ist dann Schluß für mich:




Der Sonnenaufgang ist die Belohnung für den beschwerlichen Auf- und Abstieg.



Als wir dann tatsächlich, nach langen, harten, kräftezehrenden Stunden des Abstiegs endlich angekommen sind, möchte ich am liebsten auf der Stelle vor Erschöpfung einschlafen. Auf dem Weg nach unten habe ich wahrscheinlich mehr Pausen gemacht als in meiner gesamten Schulzeit. Ich hätte gut und gerne mehrmals einfach so während des Gehens einschlafen können. Dieser Berg hat mich alle Kräfte gekostet, die ich hatte. Als ich mich völlig erschöpft aufa den Schnee lege und versuche, zu Atem zu kommen, habe ich nur noch einen Wunsch: Eine Woche Strandurlaub. Ich will keine Berge mehr sehen. Ich will keinen Schnee mehr sehen. Den Traum muß ich vorerst verschieben, da Bolivien mitten in Südamerika liegt. Und am Ende bleibt meine Frage unbeantwortet: Warum hast du das gemacht?

Cheers
Euer Larsinho

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